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Die künstlerische Faser
anlässlich der Olga de Amaral Ausstellung in der Fondation Cartier in Paris bis 16. März
Das Aufhängen der Werke von Olga de Amaral ist eine Kunst für sich. Eine einfache Befestigung an der Wand oder eine Platzierung auf dem Boden ist nicht möglich. Es handelt sich um vollständig aufgehängte Mobiles. Textile Werke der zeitgenössischen Kunst: Fiber Art. Von leichten und luftigen transparenten Fäden bis hin zu schweren Naturfasern, die nach traditionellen Methoden geflochten oder gewebt werden, vervielfältigt die kolumbianische Künstlerin Formen und Texturen, um bewegliche Paneele zu entwerfen, die dem Raum, in dem sie sie ausstellt, Struktur verleihen. So entstehen aus Leinen, Baumwolle, Wolle, aber auch Rosshaar, Reispapier, Acryl und Stuck bewegte Bilder, die mal mit Licht, mal mit Transparenz spielen. Die Einzigartigkeit dieser Werke liegt darin, dass ihre Rückseite ebenso ästhetisch ist wie die Vorderseite. Sie sind wie Gemälde, deren Rahmenseite der Leinwand an Schönheit Konkurrenz macht. Diese „Landschaften“ erinnern ihn an die Savannen und Dschungel seiner Kindheit. Doch gerade mit Gold und Silber kommen diese Highlights am besten zur Geltung. Im Dunkeln schwebend und durch vertikal einfallende Lichter hervorgehoben, sind die spektakulärsten Werke der Stiftung Wunderwerke der Leichtigkeit und Finesse, bei denen das Metall zu Textil zu werden scheint. Wir sind buchstäblich süchtig danach.
Abbildung: Ausstellungsansicht © Olga de Amaral. Mit freundlicher Genehmigung der Lisson Gallery. Foto © Cyril Marcilhacy.
Digitaler Gärtner
anlässlich der Miguel Chevalier-Ausstellungen im Zentrum für zeitgenössische Kunst Matmut in Saint-Pierre-de-Varengeville bis zum 26. Januar und im Grand Palais Immersif in Paris bis zum 6. April
Miguel Chevalier behauptet, sowohl ein Man Ray als auch ein Nam June Paik zu sein. Die Rayogramme des ersten und die Bildschirminstallationen des zweiten sind für ihn Inspirationsquellen, da sie mit neuen Techniken experimentieren und neue Vorstellungen eröffnen. Und das Mindeste, was wir sagen können, ist, dass seine eigenen Werke ihrer Zeit immer voraus waren. Als Pionier der digitalen Kunst verwendet er seit 1978 die Sprache der Einsen und Nullen wie andere den Pinsel, um plastische Werke mit überwiegend pflanzlichen Motiven zu schaffen. Mit seinen „Botanical Pixels“ entstehen inzwischen monumentale Werke wie sein Extra-Natural in der virtuellen Realität, ein wahrer üppiger Dschungel, der je nach Bewegung des Besuchers sichtbar wächst oder verkümmert. Letztere bewirken auf ihrem Weg auch das Kippen der fraktalen Blüten eines Herbariums, das zweihundert virtuelle Samen enthält. Mit seinen Hybridkreaturen aus Mineralien, Pflanzen, Tieren und Robotern treibt Chevalier das Spiel so weit, dass er einige seiner verrücktesten generativen Werke in drei Dimensionen materialisiert. Mit dieser Forschung zur Immaterialität in der Kunst steht er in der Tradition der Op-Art und von Grav (Visual Art Research Group), deren Arbeiten an der Grenze zwischen Natur und Künstlichkeit er ebenfalls fortführt. Chevaliers Installationen sind größtenteils interaktiv und entstehen in Zusammenarbeit mit Informatikern, deren Algorithmen, die oft aus der Biologie entlehnt sind, es ihm ermöglichen, das künstliche Leben seiner bewegten Pflanzen zu erzeugen. Es machte Sinn, dass diese geniale Hackerarbeit auf KI traf. Dies wurde mit der Installation „I.maginaires A.rtificels“ erreicht, bei der die Themen Sicherheit, Biometrie und Gesichtserkennung aufgegriffen und im Grand Palais Immersif eingesetzt werden.
Abbildung: Extra-Natural von Miguel Chevalier (2024) www.miguel-chevalier.com
Natürliche Intelligenz
Warum müssen wir in einer Zeit, in der generative KI jedes erdenkliche Bild zum Leben erwecken kann, die technische Meisterschaft des flexiblen Zeichnens entwickeln? Denn bislang hatte der Bleistift – vielleicht sogar mehr noch als der Pinsel – das Monopol auf die Erzeugung einer nicht existierenden Realität ohne Tricks oder Photoshop jeglicher Art. Aus dem Nichts, nur einem Bleistift und einem Blatt Papier. Es ist flexibel, es ist nüchtern und es ist teuflisch präzise, wenn man das Talent eines Gideon Kiefer hat. Dazu bedarf es Talent, aber auch einer ausgeprägten Sehschärfe, die es einem ermöglicht, sich Dali in seinem traumhaften Surrealismus auf schwarzen Hintergründen mit der von Caravaggio geprägten Grausamkeit zu nähern. Es ist klinisch, fast kalt, und doch offenbart es eine in Halbtönen zum Ausdruck kommende Sensibilität. Für eine Maschine schwer aufrechtzuerhalten. Denn auf die Finesse der Linie kommt es an. Es handelt sich um eine Bleistiftminen-Überempfindlichkeit. Alles ist sowohl hyperrealistisch als auch offensichtlich künstlich. Wir tun so, als ob. In „Economy of Ghosts“ etwa ist es die realistische Perfektion, mit der der Vogel behandelt wird, die es einem sadistischen Tierpräparator ermöglicht, aus ihm einen furchteinflößenden Giganten zu machen, der kopfüber eingefroren wird. Wäre es weniger oder mehr realistisch, würde das Bild nicht funktionieren. Erklären Sie das einer künstlichen Intelligenz.
Abbildung: Economy of Ghosts von Gideon Kiefer (2014)
Mit Absicht scheint nichts wichtig zu sein
Cocteau, Delacroix, Picasso, de Chirico, Rembrandt, Dürer, Vinci… wer hätte gedacht, dass sich hinter einem banalen Obstkorb in Form eines Stilllebens, eines liegenden Aktes oder eines nicht-heiligen Letzten eine solche Vielzahl bildlicher Referenzen verbergen könnte Abendessen? Auch hier erkundet der Bleistift Bereiche, in denen er die Konkurrenz durch KI nicht allzu sehr fürchten muss. Der ganze Unterschied besteht in der Reise und der Freude, die sie Ettore Tripodi bereitet, der sie unternimmt. Denn es geht hier um einen Bleistift in Freiheit. Das Motiv der Zeichnung steht zu Beginn noch nicht ganz fest. Es wird im Laufe der Entwicklung des Künstlers erfunden. Und wenn er sich plötzlich setzt, verschwindet der Bleistiftstrich hinter der Tusche und der Wasserfarbe, wodurch alles in einem einzigen Bild eingefroren wird. Die geheime Geschichte, die es hervorgebracht hat, wird dann gemäß der Fantasie und persönlichen Mythologie des Künstlers vergegenständlicht. Was wäre, wenn genau hierin der wichtigste Ausweg aus dem tyrannischen Aufstieg der generativen künstlichen Intelligenz läge? Sie kann alles zeichnen, was man von ihr verlangt. Doch was passiert, wenn man im Vorfeld nicht weiß, was gezeichnet werden soll? Wenn durch den Strich Ideen und Assoziationen entstehen. Wie könnte der Computer kulturelle oder persönliche Konnotationen auf diese Weise manipulieren? Künstliche Intelligenz sagt uns also, was und wie wir im Jahr 2025 zeichnen sollen. Wir müssen nur das zeichnen, von dem wir am Anfang noch nicht wissen, dass wir es zeichnen werden. Sich von seiner Linie mitreißen lassen. Wie Ettore Tripodi.
Abbildung: Notturni 34 von Ettore Tripodi (2023)